Am 18. Oktober 1941 verließ der erste Berliner »Osttransport« mit fast 1.100 jüdischen Kindern, Frauen und Männern den Bahnhof Grunewald in Richtung Lodz (»Litzmannstadt«). Seit 2011 versammeln sich jährlich zahlreiche Menschen am Mahnmal »Gleis 17« zum Gedenken an die Opfer.
Zur diesjährigen Zeremonie begrüßte Deborah Hartmann rund 100 Gäste. In ihren einleitenden Worten machte die Direktorin der Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannsee-Konferenz deutlich, dass Erinnerungsorte wie das Mahnmal »Gleis 17« und das Haus der Wannsee-Konferenz über viele Jahrzehnte erkämpft werden mussten und dass sie auf keinem stabilen Fundament stehen, »weil sich Jüdinnen und Juden auch heute wieder allein fühlen müssen, weil klare Haltungen und Handlungen gegen antisemitischen Hass und Ausgrenzung auf den Straßen deutscher Städte, in Universitäten und Kultureinrichtungen ausbleiben«.
Dr. Robin Mishra, Abteilungsleiter für Erinnerungskultur beim Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien, erinnerte in seinem Grußwort daran, dass am Bahnhof Grunewald zehntausende Menschen vor den Augen aller deportiert wurden. Dezentrale Erinnerungsorte wie dieses Mahnmal seien wichtig, um die die schreckliche Alltäglichkeit und Allgegenwärtigkeit des NS-Unrechts immer wieder ins Bewusstsein zu rücken.
Dr. Daniel Aschheim, Leitung Öffentlichkeitsabteilung in der Botschaft des Staates Israel, stellte heraus, dass Antisemitismus heute nicht verschwunden ist, sondern sich immer offener und brutaler zeigt. Er betonte dabei, dass »Nie wieder!« keine Floskel, sondern ein Versprechen sei, das »nicht nur uns Jüdinnen und Juden gilt. Es ist ein universeller Anspruch, bei dem es um Menschenwürde, um Erinnerung und um Verantwortung hier und heute geht.«
Oliver Friederici, Staatssekretär für Gesellschaftlichen Zusammenhalt des Landes Berlin, erinnerte in der Gedenkrede daran, dass bei den Deportationen aus Berlin nichts verheimlicht wurde: »Es geschah vor den Augen der Menschen, inmitten der deutschen Hauptstadt«. Er bekräftigte außerdem, dass es nicht mehr ausreiche, »Nie wieder!« oder »Seid Menschen!« zu bekunden. Er appellierte: »Erheben wir alle unsere Stimme bei jedem Anzeichen von Antisemitismus, Antizionismus, Antiziganismus, Homophobie, aber auch jeder anderen Form gruppenbezogenen Rassismus‘.«
Beim diesjährigen Schülerbeitrag stellten Schülerinnen und Schüler des Freien Joachimsthaler Gymnasiums das Programm »Lebensmelodien« vor, in dessen Rahmen junge Menschen jüdische Werke aus der Zeit des Holocaust interpretieren. Die Jugendlichen widmeten sich der Biographie von Rabbi Kalonimus Shapiro und ließen eine seiner Kompositionen erklingen.
Dr. Moshe Abraham Offenberg von der Israelitischen Synagogen-Gemeinde (Adass Jisroel) zu Berlin betonte in seinen Begleitworten, dass die Gedenkkultur – trotz aller Rufe nach einem Schlussstrich und nach dem Ende der Verantwortung – gewachsen und heute »stabil und oft auch ehrlich« sei. Als Aufgabe für die Gesellschaft beschreibt er: »Es bleibt nicht das Erinnern aus außenpolitischer Pflicht, nicht das Gedenken aus Angst vor Imageverlust, sondern die Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte, um das innere Gleichgewicht eines Landes wiederherzustellen, das lange Zeit nicht bereit war, sich selbst im Spiegel zu sehen.«
Im Anschluss an das Kel Maleh Rachamim und das Kaddisch legten die Gäste weiße Rosen am Bahnsteig nieder. Den musikalischen Rahmen der Zeremonie gestaltete die Cellistin Sofia Chekalina.
An der Gedenkfeier nahmen Cornelia Seibeld, Präsidentin des Abgeordnetenhauses von Berlin, Florian Hauer, Staatssekretär für Bundes- und Europaangelegenheiten und Internationales, Bevollmächtigter des Landes Berlin beim Bund, sowie Dr. Felix Klein, Beauftragter der Bundesregierung für jüdisches Leben in Deutschland und den Kampf gegen Antisemitismus, teil.
Die Gedenkzeremonie am »Gleis 17« ist eine gemeinsame Veranstaltung der Ständigen Konferenz der NS-Gedenkorte im Berliner Raum, des Landes Berlin, der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, der Israelitischen Synagogen-Gemeinde (Adass Jisroel) zu Berlin und der Deutschen Bahn Stiftung.
Dr. Robin Mishra, Abteilungsleiter für Erinnerungskultur beim Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien © Marko Priske
Dr. Daniel Aschheim, Leitung Öffentlichkeitsabteilung in der Botschaft des Staates Israel © Marko Priske
Oliver Friederici, Staatssekretär für Gesellschaftlichen Zusammenhalt des Landes Berlin © Marko Priske
Schülerinnen und Schüler des Freien Joachimsthaler Gymnasiums © Marko Priske
Dr. Moshe Abraham Offenberg von der Israelitischen Synagogen-Gemeinde (Adass Jisroel) zu Berlin © Marko Priske
Uwe Neumärker, Direktor der Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas, Cornelia Seibeld, Präsidentin des Berliner Abgeordnetenhauses, und Deborah Hartmann, Leiterin der Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannsee-Konferenz © Marko Priske